Verabschiedung Petra Hiller
01.04.2022

Ende einer Ära mit vielen Wandlungen

Ev. Stiftung Overdyck verabschiedet die langjährige Einrichtungsleiterin und geschäftsführende Vorständin Petra Hiller in den Ruhestand

Mit einem Gottesdienst und einem Festtag mit zahlreichen kurzweiligen Beiträgen haben Kolleginnen und Kollegen aus der Ev. Stiftung Overdyck sowie Freunde, Förderer, Kooperationspartner und Weggefährten aus Diakonie, Kirche, Wohlfahrtsverbänden und Kommune Petra Hiller in den verdienten Ruhestand verabschiedet. „Heute ist ein Tag, der in die Geschichte der ruhmreichen Stiftung Overdyck eingeht“, sagte Superintendent Dr. Gerald Hagmann in seinen Begrüßungsworten. Denn mit Petra Hillers Abschied endet eine Ära. 32 Jahre lang prägte sie die Entwicklung der ältesten diakonischen Einrichtung in Bochum, davon 31 Jahre als Einrichtungsleitung und geschäftsführende Vorständin.

In dieser Zeit hat die Ev. Stiftung Overdyck viele Wandlungen durchgemacht. Als Petra Hiller am 1. Januar 1990 als Erziehungsleitung ihren Dienst antrat, bezog sie ein Büro im mittlerweile abgerissenen Stammhaus am Bodelschwinghplatz. Wie noch zu Zeiten des Gründers Graf von der Reckes war eine zentrale Einrichtung für alle Standard in der Jugendhilfe – ein Haus, in dem viele Menschen zusammenkamen, meist isoliert von den Nachbarn. Eine Zentralküche sorgte für die Verpflegung, eine große Wäscherei kümmerte sich um die Textilien. „Eine an den individuellen Bedarfen der Kinder und Jugendlichen orientierte Pädagogik und Sozialarbeit war unter diesen Umständen kaum möglich“, erinnert sich Petra Hiller, die 1991 die Heimleitung übernahm. „Die Gruppendynamik aufgrund der Vielzahl der Problemlagen war sehr intensiv. Das war pädagogisch in dieser Form nicht sinnvoll.“

Der Weg aus dem Dilemma hieß Dezentralisierung. Die Wohngruppen bezogen normale Häuser mit direkten Nachbarn. „Dadurch konnten wir ein normales Lebensumfeld schaffen, in dem sich Kinder und Jugendliche adäquat entwickeln können und in ihrem Stadtteil leben“, erklärt Petra Hiller. Auch Angebote außerhalb eines stationären Settings wurden möglich. Das Ambulante Hilfezentrum Süd war ein erstes Bochumer Experiment, wie sich Unterstützung für Eltern und Kinder niederschwellig in die Stadtteile tragen lässt. 2005 startete das Modellprojekt in der Hustadt, arbeitete erfolgreich mit seinem Mix, sich um Familienprobleme und Erziehungsfragen zu kümmern. In Zusammenarbeit mit den Familien und dem Jugendamt suchen die Mitarbeitenden der Stiftung Overdyck dort nach Wegen und Lösungen.

Auch im Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen war die Stiftung ihrer Zeit voraus. Bereits 2012 sahen das Jugendamt, Petra Hiller und ihr Team Handlungsbedarf. Zu diesem Zeitpunkt spielten Flucht und Migration aus Syrien und afrikanischen Staaten in der allgemeinen Wahrnehmung noch kaum eine Rolle. Steigende Fallzahlen führten aber dazu, dass die erste Wohngruppe entstand. Von 2015 an kamen weitere hinzu, dazu enge Kooperationen mit dem Jugendamt und der Landeserstaufnahmeeinrichtung NRW.

Zu den weiteren Höhepunkten ihrer langen Zeit als Einrichtungsleitung zählt Petra Hiller die Einführung von Partizipation und Mitbestimmung. Ende der 1990er Jahre hat Overdyck als eine der ersten Einrichtungen bei einem Projekt zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen mitgemacht. Die damals entstandenen Ansätze werden bis heute stetig weiterentwickelt. Unter anderem ist daraus das Kinder- und Jugendparlament der Stiftung entstanden.

Außerhalb der Öffnungszeiten des Jugendamtes übernimmt Overdyck seit den 2000er Jahren die Rufbereitschaft und ist in Krisensituationen Ansprechpartnerin für Kinder und Jugendliche, Eltern sowie Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst. Auf die sehr gute Zusammenarbeit mit dem Bochumer Jugendamt, das die Arbeit Overdycks sehr schätzt, hat Petra Hiller immer großen Wert gelegt.

Heute ist die Ev. Stiftung Overdyck eine dezentrale Einrichtung und Teil der Diakonie-Ruhr-Familie. In über 25 Einrichtungen und Angeboten in und um Bochum werden über 300 Kinder, Jugendliche und Familien im Rahmen ambulanter und stationärer Erziehungshilfe betreut und begleitet. Dazu gehören Intensivangebote, koedukative Wohngruppen, Regelgruppen, Angebote für Alleinerziehende, Schutzstellen, Notschlafstellen und offene Ganztagsschule. 2004 zog die letzte Wohngruppe aus dem ehemaligen Stammhaus aus, das 2015 abgebrochen wurde. Von dem antiquierten Begriff „Rettungsanstalt“ hatte man sich schon 1989 getrennt. „Overdyck ist modern, leistungsfähig und innovativ und genießt höchste Anerkennung“, sagte Vorstand Jens Koch in seinem Grußwort.

Ihre langjährigen Erfahrungen und das in dieser Zeit gesammelte Wissen möchte Petra Hiller im Ruhestand gerne weitergeben. Die Diplom-Sozialpädagogin, ausgebildete Supervisorin und systemische Familienberaterin, die berufsbegleitend ein Studium zur Diplom-Sozialwirtin und den Master im Sozialmanagement abgeschlossen hat, hat einen Lehrauftrag an der Universität Hildesheim angenommen. Dort wird die 63-Jährige inklusive Organisationsentwicklung unterrichten. Außerdem möchte sie Fortbildungen geben. Reisen und Französisch lernen stehen auch ganz oben auf ihrer Liste. Bochum wird Petra Hiller, die in Münster lebt, auch verbunden bleiben. Für Overdyck plant sie, ein Ehemaligentreffen zu etablieren.

Mit Stefan Wutzke, der nun ihre Aufgaben vollständig übernimmt, hat Petra Hiller über einen längeren Zeitraum den Übergang harmonisch gestaltet. Ende 2019 kam Stefan Wutzke als Bereichsleiter zur Stiftung Overdyck, 2021 übernahm er die Einrichtungsleitung. Seit 1. April 2022 ist er nun auch geschäftsführend verantwortlich.